REKRUTIERUNG VON HÄFTLINGEN

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Auch Häftlinge in den Gefängnissen der Italienischen Sozialrepublik (RSI), die wegen allgemeiner und politischer Vergehen in Zuchthäusern und Justizvollzugsanstalten inhaftiert waren, wurden massiv rekrutiert, um zur Arbeit im Reich eingesetzt zu werden.

Eine erste Vereinbarung zwischen dem Justizministerium in Salò und Günther von Hackwitz, dem deutschen Leiter der Rechtsabteilung in Italien im Büro von Botschafter Rudolf Rahn, wurde Anfang Juni 1944 getroffen: Die rechtskräftig Verurteilten sollten aus den italienischen Gefängnissen geholt und in die Gefängnisse des Reiches überführt werden, wo sie ihre Strafe als Zwangsarbeiter in der Industrie fortsetzen sollten. Der Plan wurde am 26. Juni 1944 mit dem Abtransport von 466 Gefangenen aus dem Gefängnis von Castelfranco Emilia verwirklicht, in das einige von ihnen gerade aus den Gefängnissen in Parma, Portolongone und Alessandria verlegt worden waren. 70 davon, meist mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe, kamen in das bayerische Gefängnis in Landsberg am Lech, während die restlichen 396 der Firma Schäffer & Budenberg in Magdeburg zugeteilt wurden. Einen Teil von ihnen setzte das Unternehmen in seinen Fabriken in der Stadt ein, während 200 ins Gefängnis in Wolfenbüttel verlegt wurden. Sie wurden zum Ausheben eines riesigen Stollensystems im Harz eingesetzt. Dort sollten die Maschinen untergebracht werden, mit denen das Unternehmen Komponenten für die V-2-Raketen herstellte. Diese wiederum wurden in den nahe gelegenen unterirdischen Anlagen des KZ Dora-Mittelbau gebaut. Nur die Hälfte von ihnen konnte überleben.

In der Zwischenzeit war am 17. Juni 1944 ein weiteres Abkommen von allgemeiner Tragweite zwischen ministeriellen Vertretern der RSI und den Abgesandten der deutschen chemischen Industrie unterzeichnet worden. Es sah vor, auch Insassen der Salò unterstellten Justizgefängnisse zu rekrutieren, die auf ihren Prozess warten oder zu kurzen Haftstrafen verurteilt wurden. Mehr als 5.000 Gefangene, die meisten von ihnen „einfache Leute”, wurden von den deutschen Militärs zwischen Sommer und Herbst 1944 ausgewählt und über den Brennerpass gebracht und zwar als „normale” Zwangsarbeiter, die vor allem in großen chemischen Fabriken zur Herstellung von synthetischem Benzin und Kautschuk, sowie in Pulver- und Sprengstofffabriken und anderen Rüstungsbetrieben eingesetzt wurden. Die Rekrutierungsaktionen, für die die deutschen Behörden den Begriff „Gefangenenaktion” verwendeten, wurden erst Ende Oktober 1944 eingestellt.

Auch Italiener, die von den deutschen Feldgerichten verurteilt worden waren, die auf Divisions- und Armeeebene oder in jeder Militärkommandantur im besetzten Italien tätig waren, wurden zur Gewinnung ihrer Haftstrafen in Reichsgefängnisse geschickt, je nach Fall entweder in zivile Gefängnisse, die dem Reichsjustizministerium unterstanden, oder in das Militärgefängnis in Torgau, Sachsen.

Dasselbe Schicksal teilten auch die Verurteilten der deutschen Sondergerichte in den beiden Operationszonen Alpenvorland und Adriatisches Küstenland. Sie wurden in österreichische und bayerische Zivilgefängnisse oder in das Gefangenenlager von Rodgau-Dieburg in Hessen und das Gefangenenlager „Elberegulierung Griebo” bei Coswig in Sachsen-Anhalt geschickt, wo sie in Junkers Flugzeugwerken in Dessau eingesetzt wurden.

PAROLE DI STORIA

Die Gründe für die Einberufung italienischer Häftlinge durch die deutsche Chemiebranche.

Wie die Gefangenen aus den italienischen Gefängnissen geholt wurden und die Frage nach dem Einverständnis der Salò-Beamten.

Auch von den Militärgerichten der Wehrmacht verurteilte Italiener wurden in die Reichsgefängnisse überstellt.

von Andrea Ferrari

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