Ein Paradebeispiel: das REIMAHG-Werk in Kahla

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Die deutschen Pläne für ein Jagdflugzeug, dessen erste Planungen auf das Jahr 1939 zurückgingen, konkretisierten sich 1943, als die Gegend um Kahla (Thüringen) ausgewählt wurde, weil dort die besten logistischen Voraussetzungen für die Verwirklichung des Projekts herrschten, das dann ab Juli 1944 verwirklicht wurde. Der Bau des Komplexes, der sowohl Industrieanlagen als auch Wohnräume für das Personal umfassen sollte, wurde von Fritz Sauckel beschlossen, der die Gruppe REIMAHG (Akronym für Reichsmarschall Hermann Göring) gründete und der anordnete, dass die Arbeiten „so schnell wie möglich und ohne jegliche Skrupel” durchgeführt werden sollten. Von der Eröffnung der Baustelle am 11. April 1944 bis zum Tag der Befreiung wurden 40 Stollen, 7 Werkhallen und 4 große Bunker mit Stahlbetonwänden gebaut. Im Juni wurde auch mit dem Bau der 1.100 m langen Startbahn begonnen. Sie war mit einer Zahnradbahn verbunden, mit der man ein komplettes Flugzeug an die Oberfläche befördern konnte. Nach der Anfangsphase, in der vor allem allgemeine Arbeitskräfte benötigt wurden, stieg die Zahl der Facharbeiter ab September rapide an. Gleichzeitig erfolgte die Verlagerung der Fabriken in die unterirdischen Stollen. Die Geschichte der REIMAHG ist mit der Geschichte der Zwangsarbeiter verbunden, unter denen auch einige Italiener waren und die im April und Mai 1944 in Kahla eintrafen. In den ersten Monaten errichteten sie Bunker und Hallen, in denen die Werkzeugmaschinen untergebracht waren und die Herstellung der Flugwerkkomponenten erfolgte; sie legten Tunnel an, bauten Baracken für die Unterbringung der Arbeiter, bereiteten die Startbahn und die Anschlüsse an den Eisenbahnknotenpunkt in Kahla vor.

STIMMEN DER ITALIENER AUS KAHLA

Eine der schwersten Arbeiten, zu denen die Deportierten eingesetzt wurden, war das Einebnen des Hügels mit dem Ziel, eine Startbahn für die Flugzeuge zu schaffen:

Giulio Castelnuovo, Lager Marienburg:  

Arbeit: „Eine der schwersten Arbeiten, zu denen die Deportierten eingesetzt wurden, war das Einebnen des Hügels, um eine Startbahn für die Flugzeuge zu schaffen […]”

Kontakte nach außen: „… aber wir waren von der Welt abgeschnitten: niemand durfte Briefe empfangen oder senden.”

Essen: „… das Essen war dürftig; eine Gemüsesuppe mit ein paar Rüben, zwei Scheiben Brot mit etwas Margarine pro Tag.”

MB: „Sie ließen uns in einer Reihe stehen, während ein Deutscher und später noch ein anderer zwischen unseren Reihen hindurchgingen; sie fassten uns an, musterten unsere Muskeln, unsere Beine, unsere Münder, wie auf dem Pferdemarkt.”

ROB: „Wir wurden […] wie auf einem Markt an eine Firma verkauft, die uns als Arbeiter zum Graben von Tunneln in einem Berg einsetzte.”

BB: „Wir sind viele, eine große Menge, vielleicht mehr als tausend Menschen. Unsere erste Aufgabe war das Fällen von Bäumen (Birken?), alles von Hand, ohne Motorsägen oder andere mechanische Hilfsmittel. Bestimmte Gruppen sind für das Fällen der Bäume zuständig, die von zwei Personen unten am Stamm abgesägt werden; andere Arbeiter bringen die gefällten Bäume in Position und entfernen die Äste, wieder andere sägen die Stämme in etwa 2 Meter lange Stücke.”

Das im Sommer begonnene Projekt dauerte den ganzen Winter über. Am Ende musste die Fläche betoniert werden:

BF: „Vom Hang oberhalb unseres Lagers konnte ich das dunkle Dröhnen der Zementmischer hören, die Tag und Nacht den Beton für die Startbahn herstellten.”

Viele Arbeiter waren gleichzeitig in den Tunneln beschäftigt, in denen die Maschinen in Massenproduktion hergestellt werden sollten:

LC: „Sobald wir in Kahla ankamen, wurden wir in einer Gruppe von Landhäusern in einer nahegelegenen Ortschaft untergebracht und begannen damit, die Tunnel zu graben. Nach und nach schafften wir zugleich das Material für die Herstellung von Betonblöcken hinaus.”

Bei denen, die die Möglichkeit hatten, die deutschen Projekte zu begutachten und zu verstehen, stießen diese auf großes Kopfschütteln:

GS: „Sie sagten mir, sie wollen hier eine Fabrik errichten, komplett unter dem Hügel […] für Düsenflugzeuge. Und der Deutsche meinte: Maschinen ohne Propeller. Daraufhin sagten wir: Ihr seid verrückt. Und dann haben wir angefangen, den ganzen Berg zu durchbohren […] wir haben 50 Kilometer Stollen gegraben […] und da haben sie alle ihre schönen Räume und Gänge gebaut, wo sie das Material für die Düsenflugzeuge verarbeiteten. Die Maschinen kamen mit dem Rumpf heraus, der bereits mit dem ganzen Rest zusammengebaut war.”

Der Tag begann mit dem Weckruf und der Verlegung der Zwangsarbeiter in Kolonnen:

MA: „Die Arbeit begann morgens um 6 Uhr, doch wir wurden schon um 4 Uhr geweckt. Wir gingen mit der Decke, die wir zum Schlafen benutzten und die durch einen Nagel zusammengehalten wurde, auf den Schultern zur Arbeit. Holzschuhe mit zerrissenen Socken… wir nahmen etwas von dem Papier von den Zementsäcken dort drüben, es gab einen Haufen davon, und wir zogen es uns über die Füße.”

Mit dem Einbruch des Winters sahen sich die Deportierten einem neuen Feind gegenüber: der Kälte, gegen die sich nur wenige wehren konnten. Viele derer, die im Sommer in Kahla ankamen, hatten nur die leichte Kleidung dabei, die sie zum Zeitpunkt ihrer Gefangennahme getragen hatten:

FM: „Was die Kleidung betrifft, haben wir nie welche bekommen und nach neun Monaten schrecklicher Arbeit im Tunnel kehrten wir mit derselben Kleidung zurück, mit der wir abgereist waren.”

DA: „Als wir im Lager ankamen, bekamen wir ein Paar Holzschuhe und eine Art zweiteiligen Overall, sonst nichts.”

Der Tod wurde zu einer so vertrauten Episode des täglichen Lebens, dass er keinerlei Emotionen mehr hervorrief und manchmal als Befreiung begrüßt wurde:

ROB: „Der Tod wurde für uns zur Gewohnheit, zu etwas Alltäglichem.”

OR: „Es stand so schlecht um uns, dass wir dachten, niemand würde mehr nach Hause kommen […] Denn mittlerweile gab es keine Hoffnung mehr, all diese Toten… Aber sie starben, ohne etwas zu sagen! Sobald sie eingeschlafen waren, lagen sie da, in Frieden; und sie litten auch nicht, denn sie waren vollkommen ausgezehrt.”

Anfang 1945 starteten die ersten Me 262 von Kahla aus:

GS: „Wir sahen die Ersten abfliegen… es war Februar, Januar, Februar ’45… die Erste startete. (…) Wir sahen, wie sich ein Flügel löste, es gab eine Stichflamme (…), offensichtlich wurde die Leistung nicht genau berechnet, und als sie sie auf 900 Stundenkilometer gebracht hatten, löste sich der Flügel ab… der Pilot war mit Sicherheit auf der Stelle tot.”

BB: „Es war ein sonniger Tag, ich erinnere mich gut; man hörte ein lautes Pfeifen, und dann sahen wir, die wir unten vor den Stollen standen, wie das neue Düsenflugzeug über der Spitze des Berges aufstieg und wie eine Rakete davonflog.”

Trotz der Ausbeutung von 15.000 Arbeitern wurden in Kahla zwischen 26 und 40 Düsenflugzeuge hergestellt. Genau ein Jahr nach seiner Gründung wurde der Komplex durch amerikanischen Truppen befreit. Seine Existenz war bereits im August 1944 von den Alliierten ermittelt worden. Aus dieser Zeit stammen die ersten fotografischen Aufklärungsbilder, auf die regelmäßige Kontrollen aus der Luft folgten.

Die Zeugenberichte stammen aus Studienarbeiten von Annalisa Cegna und Massimiliano Tenconi.