LIGURIEN

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In Ligurien, einer Region mit industriell geprägter Wirtschaft und kargem Land, wurden im Laufe der Zeit und je nach Ort unterschiedlich intensiv ALLE von den Besatzern und der RSI eingeführten Praktiken übernommen, um Arbeitskräfte für das Reich anzuwerben:

    1. Ermutigung zur freiwilligen Rekrutierung;
    2. direkte Überstellung von Arbeiterkontingenten durch Unternehmen;
    3. Verpflichtungen;
    4. Einberufung bestimmter Jahrgänge.

Angesichts der im Verhältnis zu den Zielen schlechten Ergebnisse bedienten sich die Nazi-Faschisten brutalster Zwangsmaßnahmen:

    1. Razzien gegen Partisanen, in Fabriken und unter Streikenden;
    2. städtische Massenverhaftungen von politischen Gegnern, Arbeitslosen,                     Ausgegrenzten, Kleinkriminellen und Militär- und Arbeitsdienstverweigerern;
    3. die Entnahme von Gefängnisinsassen.

Auf diese Weise wurden bei einer Bevölkerung von etwa 1.500.000 zwischen 8.600 und 9.300 Personen zur Arbeit ins Reich versetzt. 

Genua und Provinz

In Genua und der Provinz ließ die Resonanz auf die Rekrutierungskampagnen sehr zu wünschen übrig, auch im Hinblick auf die Beschäftigungssituation:

    1. In der Hauptstadt und in einigen Städten entlang der Küste blieb ein Großteil    der Industrieanlagen in Betrieb (Stahl- und Maschinenbau, Schiffbau, Rüstung,          Manufaktur), da die Besatzer es für ihre Kriegswirtschaft für günstiger hielten,          die Produktion vor Ort fortzusetzen.
   2. Tausende von Männern und Frauen fanden Beschäftigung in Unternehmen, die     für die Organisation Todt (3. Juni 1944: 15.000) oder direkt für die Deutschen             (mehrere Tausend) arbeiteten.
3. Auf dem Lande waren Arbeitskräfte knapp.

Daher wurde häufig auf Zwangsmaßnahmen zurückgegriffen, wie z. B. bei der Aktion der Nazifaschisten vom 16. Juni 1944 gegen die streikenden Arbeiter, bei der 1.448 Industriearbeiter auf einen Schlag nach Österreich und Deutschland geschickt wurden.

Insgesamt kann der Beitrag der Arbeitskräfte aus dem Gebiet auf 6.000-6.500 Männer und Frauen geschätzt werden.

INCE-UIC-Akten mit kurzen biografischen Anmerkungen

  • Francesco GIANCOTTI, geboren am 29.4.1913 in Genua. Er bezeichnete sich selbst als „Deportierten”.

Er gehörte zu den 1.448 Arbeitern, die am 16. Juni 1944 in vier Fabriken (San Giorgio, SIAC, Eisenbahnwerk Piaggio und Ansaldo-Werft) in Genua aufgegriffen wurden. Ziel dieser Aktion war einerseits die Beschaffung von Industriearbeitskräften für das Reich und andererseits die Vergeltung für die Streiks der vorangegangenen Tage. Die Arbeiter wurden nach Mauthausen und nach der Quarantäne zu verschiedenen Arbeitsplätzen in Österreich und Deutschland gebracht. Eine Gruppe von etwa 200 aufgegriffenen Arbeitern war bei der MIAG in Dresden beschäftigt, darunter auch Giancotti.

  • Mario ROLLERI, geboren am 14.4.1923 in Lavagna (GE). Er bezeichnete sich selbst als „politischen Internierten”.

Am 27. September 1944 kam er ins Marassi-Gefängnis in Genua, in dessen Register er als „rastrellato” (dt. „Aufgegriffener”) verzeichnet wurde. Am 27. September 1944 wurde er ins Gefängnis von San Vittore gebracht, von wo aus er am 9. Oktober 1944 im Rahmen der Operation Prison ins Reich kam.

  • Nello SISTI, geboren im Jahr 1911 in Massa. Er bezeichnete sich selbst als „politischen Aufgegriffenen”.
    Im Zentralen Politischen Register war er als „Anarchist und Verbannter” verzeichnet, von Beruf war er Arbeiter in einem Marmorsteinbruch. Im Juni bat seine Frau Amalia Giromini den Provinzchef um einen Zuschuss, da sie noch keine Überweisungen von ihrem Mann und keine Familienbeihilfe erhalten hatte und mit zwei Kindern mittellos war. Am 7. August bewilligte ihr die INFPS-Behörde in Genua einen Vorschuss von 2.000 Lire und gab als Arbeitsort die Firma Edeka in Grimma im Landkreis Leipzig in Sachsen an. 

Savona und Provinz

Savona und die Provinz waren ein stark industriell geprägtes Gebiet (Eisen und Stahl, Mechanik, Chemie, Petrochemie) mit einer Vielzahl von Fabriken in der gesamten Region. Wichtig waren auch der Hafen und der Tourismussektor, die ab 1940 rückläufig waren.

Ende 1943 geriet die Industrie aufgrund des Mangels an Rohstoffen und Energie in eine Krise, und so begannen die Deutschen einerseits schon früh mit der Arbeiterbeschaffung und verlegten andererseits viele Fabriken nördlich des Apennin.

Der Generalstreik am 1. März 1944 in der Region Savona war ein großer Erfolg. Als Vergeltung und um Arbeitskräfte zu beschaffen, wurden 67 Arbeiter ins KL (nur acht überlebten) und 110 – 120 Personen zur Zwangsarbeit geschickt, meist in die großen Hermann-Göring-Werke in Salzgitter.

Trotz der geringen Anzahl an Freiwilligen für den Arbeitsdienst im Reich wurden durch Razzien, städtische Säuberungsaktionen und Verhaftungen von Antifaschisten und Arbeitsdienstverweigerern sowie durch die die Entnahme von Gefängnisinsassen über 900 Menschen zur Arbeit über den Brennerpass geschickt.

INCE-UIC-Akten mit kurzen biografischen Anmerkungen

  • Giuseppe BOTTA, geboren am 8.7.1898 in Savona. Er bezeichnete sich selbst als einen „aufgegriffenen Arbeiter”.
    Er war mechanischer Fräser bei ILVA in Savona und beteiligte sich am Streik vom 1. März 1944, der mit einer Razzia in den wichtigsten Fabriken von Savona und der Provinz niedergeschlagen wurde. Mehr als 200 Arbeiter wurden in das Reichsarbeitsamt in Genua gebracht. Von hier aus wurden 67 in das KL Mauthausen und seine Außenlager und 110 – 120 zur Zwangsarbeit geschickt. Botta war, wie die meisten seiner Kameraden, beim Konzern Hermann-Göring-Werke in Salzgitter in Niedersachsen beschäftigt.
  • Alfredo CAPARVI, geboren am 7.10.1908 in Savona. Er bezeichnete sich selbst als „zivilen Deportierten”.
    Er beteiligte sich an dem Streik vom 1. März 1944, der mit einer Razzia in den wichtigsten Fabriken von Savona und der Provinz niedergeschlagen wurde. Mehr als 200 Arbeiter wurden in das Reichsarbeitsamt in Genua gebracht. Von hier aus wurden 67 in das KL Mauthausen und seine Außenlager und 110 – 120 zur Zwangsarbeit geschickt. Botta war, wie die meisten seiner Kameraden, beim Konzern Hermann-Göring-Werke in Salzgitter in Niedersachsen beschäftigt.

La Spezia und Provinz

La Spezia verfügte über ein Militärarsenal mit 8.000 zivilen Angestellten und war eines der wichtigsten Zentren der italienischen Kriegsindustrie in Verbindung mit der Marine. Am 8. September wurde das Arsenal geschlossen und in den folgenden Monaten nur teilweise wieder in Betrieb genommen. Auch die wichtigsten Fabriken schlitterten aufgrund fehlender Aufträge in eine Krise. Die Deutschen zogen zudem Arbeitskräfte und Anlagen ab und plünderten gleich nach dem Waffenstillstand Rohstoffe, Industriegüter und Maschinen.

Die Deutschen und die RSI nutzten die ehemaligen Arsenal-Angestellten als Reservoir, um Freiwillige zu gewinnen und Arbeiter zu rekrutieren. Nicht weniger als 400 Arsenal-Arbeiter wurden auf diese Weise ins Reich geschickt. Bis Dezember 1944 kam es zu zahlreichen Massenverhaftungen in den Städten, zu Verhaftungen von Randgruppen, Arbeitslosen, „Bummelanten und Landstreichern”, Antifaschisten, zu Razzien in den Zentren der Provinz und zu einigen Entsendungen von Fabrikarbeitern.

Insgesamt wurden zwischen 1.000 und 1.100 Arbeiter nach Deutschland geschickt. Der Prozentsatz der Freiwilligen war höher als im übrigen Ligurien. Dies war auf die verzweifelte Lage der hungernden Stadt zurückzuführen, die durch Bombardierungen und die Zerstörung durch die Deutschen verwüstet war und deren Lage sich ab September 1944 durch die Nähe zur Front noch verschlimmerte.

INCE-UIC-Akten mit kurzen biografischen Anmerkungen

  • Alba BERSANI, geboren am 5.1.1923 in Vezzano Ligure (SP), Näherin. Sie bezeichnete sich selbst als „politische Deportierte, die zur KZ-Arbeiterin wurde”.

Verhaftet am 28. November 1943 in La Spezia zusammen mit ihrem Bruder Athos, geboren am 17.9.1924 in Chiavari (GE), Tischler. Beide kamen am 12. Februar 1944 auf Befehl des Militärkommandos in La Spezia in das Marassi-Gefängnis in Genua, wo sie dem deutschen Militärkommando zur Verfügung gestellt wurden (Vermerk im Gefängnisregister). Die Geschwister verließen das Gefängnis am 11. August 1944 im Rahmen der Operation carceri (dt. Gefängnisse) in Richtung Deutschland. Eine Spur von Alba findet sich in den Arolsen Archives, in denen sie vom 19. August 1944 bis zum 13. Juni 1945 als Arbeiterin in Laufen in Oberbayern verzeichnet ist (von Athos ist keine UIC-Akte vorhanden und auch in den Arolsen Archives ist keine Eintragung zu finden).

  • Guido MARIOTTI, geboren am 30.7.1906 in La Spezia. Er bezeichnete sich selbst als „6-11-43 deportierter Werksarbeiter, der zum Arbeiter wurde”.

Er ist Teil einer Liste von etwa 400 Angestellten des Militärarsenals von La Spezia, die nach dem 8. September 1943 entlassen und zur Arbeit ins Reich geschickt wurden. In den Arolsen Archives ist er vom 13. November 1943 bis zum 14. April 1945 als Arbeiter bei der Firma Johann Hunter & Co. K.G. mit Sitz in München eingetragen.

  • Pietrina VITA, geboren am 18.12.1919 in Massa, Landwirtin. Sie bezeichnete sich selbst als „zivile Deportierte”.

Sie kam am 28. März 1944 in Deutschland an und arbeitete in Wesseling (Bezirk Köln) bei der Union Rheinische Braun-Kohlen Kraftstoff – DEA Mineralöl.

Imperia und Provinz

Imperia war die einzige ligurische Provinz, die kaum industrialisiert war, aber dank wertvoller Anbauprodukte (Oliven und Blumen) und des Fremdenverkehrs eine relativ florierende Wirtschaft hatte, die durch den Kriegseintritt Italiens jedoch in die Krise geriet. In den ersten Monaten des Jahres 1944 war die Resonanz auf die Anwerbung von Arbeitskräften für Deutschland so gering, dass die Deutschen und die Organe der RSI – vor allem die GNR – Razzien, Massenverhaftungen in den Städten, Verhaftungen von Verweigerern sowie Tag- und Nachtpatrouillen durchführten. Diese wurden ab Ende August noch intensiver, weil die Provinz mit ihrer eine starken und heftigen Partisanenbewegung zum Gebiet hinter der Front wurde.

Am 16. Oktober 1944 wurden 130 – 160 Personen bei einer Razzia im Stadtteil Pigna in Sanremo gefangen genommen und zur Arbeit nach Bozen und in eine Reihe von Nebenlagern geschickt. Zwischen dem 15. und 17. November wurden weitere 60 Personen bei einer Aktion gegen die Partisanen in den Hügeln von S. Romolo in Sanremo festgenommen. Andere Arbeitskräfte wurden bei Angriffen in den Bergen und an der Küste aufgegriffen.

Insgesamt wurden zwischen 650 und 750 Einwohner von Imperia und der Provinz zur Arbeit ins Reich geschickt.

INCE-UIC-Akten mit kurzen biografischen Anmerkungen

  • Valentino CALVINI, geboren am 15.7.1925 in Bussana (IM). Er bezeichnete sich selbst als „deportierten Arbeiter”.

Zusammen mit drei Kameraden aus Bussana, Jahrgang 1925, wurde er am 14. August 1943 als militarisierter Arbeiter eingezogen. Sie schlossen sich der 4. Armee an und erreichten am 20. August Hières. Von dort aus wurden sie zum Bau von Landungsverteidigungsanlagen bei Marseille eingesetzt. Am 8. September wurden sie von den Deutschen gefangen genommen, nach Marseille gebracht und mit 500 anderen Italienern zur Arbeit im Hafen eingesetzt. Am 24. November gelang den vier die Flucht und sie erreichten Menton, wo sie einen Passeur kontaktierten, um nach Italien zurückzukehren, doch ein Spion zeigte sie an. Sie wurden verhaftet und blieben 15 Tage im Gefängnis in Menton, von wo aus sie über Nizza in das Lager Esslingen am Neckar bei Stuttgart gebracht wurden. Anschließend wurden sie an andere Orte versetzt. Calvini war vom 28. Dezember 1943 bis zum 20. April 1945 bei der Firma Mauser Werke A.G. in Obendorf am Neckar beschäftigt.

  • Giacomo LAURA, geboren am 26.11.1883 in Ospedaletti (IM). Er bezeichnet sich selbst als „politischer Internierter (SS-Häftling), der nach Zwangsmaßnahmen der deutschen Behörden zu einem Arbeiter wurde”.

Die ganze Familie Laura war in den Widerstand involviert. Ab dem 13. Juli 1944 arbeitete Giacomo bei der Firma Ludwig Winter in Augsburg und ab dem 12. August 1944 in Kempten im Allgäu.

WORTE DER GESCHICHTE

Verfahren und Methoden für die Anwerbung von Arbeitskräften für das Reich in Ligurien.

Wie die Beschäftigungslage die Reaktion der ligurischen Bevölkerung auf Stellenangebote im Reich, Bekanntmachungen und Einberufungen beeinflusste.

Der Zusammenhang zwischen der Zwangsversetzung ligurischer Arbeitskräfte ins Reich und der Unterdrückung heftiger sozialer Konflikte.

Das Kontingent der zur Arbeit ins Reich entsandten ligurischen Bevölkerung: Anzahl und soziale Zusammensetzung.

von Irene Guerrini und Marco Pluviano

GALERIE