Als sozioökonomisch wichtigste Region Italiens zählte die Lombardei bei der letzten statistischen Erhebung vor dem Krieg mehr als eine Million Erwerbstätige in der industriellen Produktion. Neben dieser starken industriellen Konnotation verfügte die Region auch über eine florierende landwirtschaftliche Produktion, vor allem in den wasserreichen Gebieten der unteren Po-Ebene, sowie über große Naturschätze wie bedeutende Wälder und mehrere Bergbauzentren.
Es handelte sich um ein Gebiet mit beträchtlichen materiellen Ressourcen, zu denen noch eine große Zahl unterschiedlich spezialisierter Arbeitskräfte hinzukam. Diese stellten für den Kriegsbedarf des Dritten Reiches eine wertvolle Quelle dar, aus dem es schöpfen konnte, um seinen wirtschaftlichen Bedarf zu decken.
Außerdem war zwischen 1938 und 1942 eine große Anzahl lombardischer Arbeitskräfte im Zuge der Migration nach Deutschland ausgewandert (aus Mailand waren es etwa 12.000, aus der kleineren Provinz Cremona über 6.000); ein wichtiger Hintergrund, der einen günstigen Präzedenzfall für eventuelle weitere berufliche Versetzungen nördlich des Brennerpasses darstellte. Und so setzte sich die freiwillige Abwanderung aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage auch in den letzten Monaten des Jahres 1943 fort, was es den Besatzern ermöglichte, zumindest anfangs keine massiven Zwangsmaßnahmen zu ergreifen und ihre Forderungen nach Arbeitskräften zu mäßigen.
Als dieser Pool von „Freiwilligen, weil verwundbar”, erschöpft war und sich im Februar 1944 in Mailand kein einziger Freiwilliger mehr meldete, wurde die Einführung entschiedenerer Regelungen wie z.B. groß angelegter Rekrutierungen notwendig, die sich jedoch schon bald als unzureichend erwiesen. Wenn im April 1944 in Sondrio noch etwa zehn Prozent der Rekrutierten erschienen, waren es in Mailand ein paar Monate später nicht einmal mehr drei Prozent. Aktionen wie die „Entnahme der Gefängnisinsassen”, die das Mailänder Gefängnis San Vittore zu einem unverzichtbaren Dreh- und Angelpunkt für die Erfassung und Rekrutierung in der Region machte, und die militärischen und polizeilichen Operationen, die im Vergleich zu anderen nördlichen Regionen oft im kleinen Rahmen, doch kontinuierlich durchgeführt wurden, wurden daher zur Regel, um die von den Vertretern des Generalbevollmächtigten Sauckel geforderten Arbeitskräftekontingente zu beschaffen. In einer Region mit einer so reichen, aber auch stark verzweigten Wirtschaftsstruktur wie der Lombardei wurde Sauckels Plan jedoch unweigerlich von einem innerdeutschen Konflikt durchkreuzt. Denn er hatte Albert Speer gegen ihn aufgebracht, der auf eine intensive Ausbeutung der Arbeitskräfte vor Ort aus war.
Dieser Konflikt, der zur Ausweitung geschützter Unternehmen und zu einem Wettlauf um die Aufnahme in die deutschen Produktionseinrichtungen führte, hatte zur Folge, dass die Abwanderung von Arbeitskräften geringer ausfiel als erwünscht; allerdings handelte es sich trotzdem um eine beträchtliche Zahl von Arbeitskräften, wie die Namensliste mit den fast 11.000 Lombarden zeigen, die bei der Durchsicht der vor Kurzem sorgfältig geprüften Akten der italienischen Währungsbehörde ermittelt wurden.
WORTE DER GESCHICHTE
Die Arbeit in Deutschland und der öffentliche Geist in der Lombardei.
Entsendung von Arbeitskräften und lokale Produktion: die Widersprüche des Besatzers.
Indirekter Druck.
Erinnerung: späte Anerkennung für Zwangsarbeiter.
Entsendung aufgrund des Berufs oder aus anderen Gründen.
von Massimiliano Tenconi