Die deutsch-italienischen Abkommen von 1937-38 über die Entsendung italienischer Arbeiter nach Deutschland boten einen Ausweg aus der schwierigen Beschäftigungslage in Venedig und der Provinz, so dass sich 1940 bereits 2.000 Industriearbeiter im Reich befanden.

Am 12. September 1943 wurden Venedig und das venezianische Gebiet von deutschen Truppen widerstandslos besetzt. Am 15. September wurde eine erste Bekanntmachung herausgegeben, die unter anderem die Offiziere, mit Ausnahme derer, die bereits zur Wehrmacht eingezogen waren, aufforderte, sich noch am selben Tag bis 20 Uhr in den Hotels Terminus und Germania zu melden. Die zweite Bekanntmachung vom 18. September verpflichtete hingegen alle Soldaten mit und ohne Dienstgrad, mit Ausnahme derer, die gerade beurlaubt oder bereits zur Wehrmacht eingezogen waren, sich im Hotel Danieli zu melden. Viele von ihnen hielten sich versteckt, wurden bei Massenverhaftungen oder Razzien gefasst und später zur Zwangsarbeit im Reich, vor allem (aber nicht nur) in Österreich, eingesetzt. Nicht wenige meldeten sich aus Angst vor Repressalien erst spät und flüchteten nach kurzer Zeit, wie der am 13. Oktober 1924 in Venedig geborene Renato Lazzarini erzählte. Erneut gefangen genommen, wurden sie dann in die Gefängnisse des Reiches gebracht und zur Zwangsarbeit eingeteilt: „Und dort trafen wir auf die deutsche SS und die faschistischen Schwarzen Brigaden, die uns in einer Reihe aufstellten und uns unter bewaffneter Eskorte zu den Waggons brachten, die am Bahnhof warteten, um uns alle nach Deutschland zu bringen. Von hier aus begann meine Zwangspilgerreise durch ganz Deutschland, Preußen und Polen.”

Zu den Militärs und ehemaligen Soldaten gesellten sich im Frühjahr 1944 diejenigen, die zum Arbeitsdienst verpflichtet wurden, darunter die Arbeiter vom Hafen Porto Marghera der Jahrgänge 1911 und 1914 und diejenigen, die gegen den ständigen Abtransport von Arbeitskräften streiken wollten.

Trotz der massiven Propagandakampagne waren Ende März 1944 unter den insgesamt 9.041 jungen Männern der Jahrgänge 1922 bis 1925, die sich zum Militärdienst melden mussten, etwa 3.000 Wehrdienstverweigerer. In diesen Fällen kam es vor, dass an ihrer Stelle ihre Verwandten verhaftet und zur Zwangsarbeit ins Reich geschickt wurden, wie z. B. Pietro Penso. Der 1897 geborene Kaufmann aus Cannaregio wurde am 15. August verhaftet, weil sein Sohn Sergio sich nicht zum Militärdienst gemeldet hatte. Er wurde in das Gefängnis von Santa Maria Maggiore gebracht und dem Arbeitsamt des Salò-Regimes übergeben. Von dort aus übernahmen ihn die Besatzer, die ihn nach Sankt Valentin in Niederösterreich brachten, wo er am 1. September ankam.

Am darauffolgenden 18. März schrieb er an seine Frau: „Meine liebe Antonietta, auch heute ist weder Post noch Paket gekommen, aber ich hoffe, ihr seid alle gesund, wie ich von mir behaupten kann. Ich habe so sehr auf ein Paket gehofft, damit ich wenigstens meine Essensvorräte auffüllen kann, denn ich bin im Rückstand und weiß nicht, wann ich wieder auf die Beine komme. Morgen oder später schreibe ich dir ausführlicher, denn morgen habe ich Nachtdienst und tagsüber etwas mehr Zeit. Das Leben hier ist immer gleich, und wir alle hoffen, dass es sich ändert, sonst kommen wir alle in Schwierigkeiten; ich hoffe, dass Renato und Gastone mir geschrieben haben; ich habe ihnen geschrieben. Ich schicke euch drei ganz viele Küsse und liebe Grüße und noch einmal einen dicken Kuss. Dein Mann”

Auch Häftlinge, die wegen gewöhnlicher Verbrechen oder Straftaten gegen die öffentliche Sicherheit im Gefängnis saßen, und Wehrdienstverweigerer wurden später dem Arbeitsamt oder der deutschen Polizei übergeben und zur Zwangsarbeit nördlich des Brennerpasses geschickt. Sogar diejenigen, die antifaschistischer Aktivitäten verdächtigt wurden, wurden – vielleicht weil sie Facharbeiter waren – zur Zwangsarbeit ins Reich gebracht. So z. B. Gino Viviani, geboren 1917, ursprünglich aus Donada in der Provinz Rovigo. Er wurde am 12. März 1944 vom Unternehmen Montecatini in Marghera entlassen, weil er zur Zwangsarbeit eingeteilt worden war. Am darauf folgenden 27. März wurde er als mutmaßlicher Antifaschist von der Polizei in Mestre verhaftet und mit anderen Zwangsarbeitern zunächst nach Schärding am Inn, Oberösterreich, in der Firma Hans Lutz und dann als Elektroschweißer für dieselbe Firma in den Oberschlesischen Hydrierwerken in Blechhammer, Oberschlesien, eingesetzt. 

Im Sommer 1944 waren Razzien und Verhaftungen, die oft von den Schwarzen Brigaden durchgeführt wurden, und die anschließende Einweisung zur Zwangsarbeit die Antwort auf Sabotageakte kommunistischer Gruppen.

Alle Verhafteten, die dem Arbeitsamt zur Überführung ins Reich oder der SS zur Überführung in die Reichsgefängnisse übergeben wurden, kamen zuerst in die venezianischen Gefängnisse von Santa Maria Maggiore.

Der 1903 geborene Giuseppe Maura und der 1913 geborene Guido Dalla Venezia, die am 24. August zusammen verhaftet und der SS übergeben wurden, wurden am 23. September nach Österreich gebracht. Maura sollte als Tischler in der Shell-Raffinerie in Floridsdorf (Wien) arbeiten, die nach dem Anschluss der deutschen Rhenania-Ossag, Tochtergesellschaft von Shell, zugeordnet wurde. Dalla Venezia wurde hingegen von Innsbruck weiter ins Sudetenland gebracht.

In den ersten Maitagen des Jahres 1944 wurden zahlreiche Arbeiter der Klassen 1911-1914, die am Hafen Porto Marghera rekrutiert worden waren, auch als Folge der Streiks im März und am 1. Mai sofort in Viehwaggons gesperrt und zur Ausreise nach Deutschland gezwungen. Am darauffolgenden 8. Mai traten die Arbeiter in großer Zahl in den Streik. Der Kommunistische Verband Venedig (Federazione comunista veneziana) und das interne Hafenkomitee für Arbeitskampf (Comitato di agitazione interno al Porto) riefen dazu mit Flugblättern auf: „Arbeiter! Wehren wir uns mit Streiks gegen den zynischen Willen der Nazifaschisten, die uns in Deutschland umbringen wollen! Keine weiteren Abschiebungen nach Deutschland!”

Doch vor allem im Sommer 1944, als die Sabotageaktionen gegen die Produktion und die Kommunikationswege zunahmen, kam es zu mehr Verhaftungen und Überstellungen ins Reich, auch weil trotz der massiven Rekrutierungskampagne niemand mehr zur Arbeit nach Deutschland gehen wollte. Außerdem schrieb die Militärkommandantur 1004 mit Sitz in Padua, von der Venedig abhängig war, in einem ihrer Berichte: „Enorme Schwierigkeiten, Arbeitskräfte für Deutschland zu rekrutieren. Die Rückführung kranker italienischer Internierter aus dem Reich nach Italien (Anfang Juni) wirkte sich sehr ungünstig auf die Stimmung in der Bevölkerung aus, denn die Bevölkerung glaubt massenhaft, dass alle Italiener in Deutschland schlecht behandelt werden und dort krank werden.” Sogar der Unterstaatssekretär für Inneres der RSI Giorgio Pini gab dies in seinem Bericht über seine Inspektion am 21. und 22. November zu: „Im Gebiet von Mestre Marghera, das durch die Bombardierung schwer beschädigt worden war, sind nur noch 25 Prozent der Fabriken in Betrieb. Es herrscht Mangel an Rohstoffen, vor allem an Kohle, so dass sich die Arbeitslosigkeit voraussichtlich bald verschlimmern wird, auch weil die Arbeiter nicht nach Deutschland gehen wollen.”

Aus der Altstadt Venedigs, aus Mestre und Marghera wurden jedenfalls hauptsächlich Facharbeiter (Mechaniker, Schiffsmechaniker, Tischler, Glasarbeiter) geholt, während im Herbst 1944 in den Gemeinden auf dem Festland 20.000 Männer aller Alters- und Berufsgruppen zusammengetrieben und vor Ort mit Erdarbeiten und dem Ausheben von Panzergräben beschäftigt wurden, um eine mögliche Landung der Alliierten zu verhindern, die vom Oberkommando der Wehrmacht bis zum Frühjahr 1945 für sehr wahrscheinlich gehalten wurde (die damaligen deutschen Militärkarten verwendeten die Bezeichnungen „Fall Grete” = Genua, „Fall Luise” = Livorno, „Fall Cecilie” = Chioggia).

Für nähere Informationen siehe Bilder und dazugehörige Erläuterungen. Die Materialien stammen aus dem Staatsarchiv von Venedig (Archivio di Stato di Venezia – ASV), dem Generalarchiv der Kommune Venedig (Archivio Generale del Comune di Venezia – AGCV), dem Archiv des venezianischen Instituts für die Geschichte des Widerstands und der zeitgenössischen Gesellschaft (Archivio dell’Istituto Veneziano per la Storia della Resistenza e della Società contemporanea – AIVESER) und dem Historischen Archiv der Kommune Mirano (Archivio Storico del Comune di Mirano – ASCM).

WORTE DER GESCHICHTE

Die Beschäftigungskrise in Venedig in den 1930er Jahren und die ersten Ausreisen nach Deutschland im Jahr 1938.

Die Streiks im Hafen Porto Marghera und die Entsendung der Arbeiter.

Die Auswahl von Facharbeitern für Deutschland und allgemeinen Arbeitskräften für den Bau von Verteidigungsanlagen im Raum Venedig.

von Adriana Lotto

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